Bild: Barbara Marty
Interview mit Barbara Seiler
Die Böniger Scherenschnittkünstlerin Barbara Seiler über ihren ersten Cowboy, eine Uhrensensation und warum ihr Garten ein ständiges Motiv ist.
Frau Seiler, erinnern Sie sich noch an Ihren allerersten Scherenschnitt? Barbara Seiler: Ja, das war 1978, damals arbeitete ich in Jassbach bei einer Familie Gasser. Während der Zimmerstunde fing ich einfach an, mit Schere am Papier zu wirken. Das Zeichnen und Gestalten war schon immer meins – ob mit Stein oder Holz beim Schnitzen. Mein erster Scherenschnitt zeigte einen Cowboy, der zweite Dornröschen. Mich fasziniert beim «Schärischnittle» der Kontrast von Schwarz und Weiss.
Ihre Motive sind häufig Tiere, Pflanzen, ländliche Szenen. Warum? Weil ich das liebe und lebe. Mein Garten, die Natur, alles Idyllische bringt mich zum Scherenschneiden. Wenn ich Blumen und Tiere anschaue, spüre ich: Sie schauen zurück, und das gebe ich in meinen Bildern wider. Ihre Lebensfreude, eine ideale Welt.
Wie lange arbeiten Sie an einem Scherenschnitt? Ich zeichne zuerst vor und arbeite dann in grosser Ruhe. Es soll wirken, erzählen. Jedes Detail ist wichtig. Bei einem grossen Scherenschnitt wie dem «Garten Eden», an dem ich gerade arbeite, brauche ich gut drei Monate.
Sie stellen seit Jahrzehnten aus. Wie hat sich die Scherenschnittkunst verändert? Die Vielfalt ist grösser geworden. Neben den klassischen Arbeiten hat sich eine freie Bildsprache entwickelt. Ich habe meinen eigenen Weg gefunden – bildhafte Episoden, die ich so wahrnehme.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Tissot? 1991/92, zur 700-Jahr-Feier der Schweiz, erhielt ich von Tissot eine Anfrage. Anfänglich sollte ich für eine Sonderedition von Armbanduhren sechs Motive für Zifferblätter entwerfen, die zur Vervielfältigung gelasert werden sollten. Doch die Scherenschnitte gingen unterwegs verloren. Daraufhin wünschte man echte Unikate. So habe ich in einem halben Jahr 1200 Zifferblätter mit unterschiedlichen Sujets versehen. Ich machte bis zu sieben pro Tag. Jede Uhr einzigartig, aus Bruyère-Holz. Zur Einführung wurde ich zu Anlässen von Tissot eingeladen, war auf Plakaten und zeigte Scherenschneiden vor Publikum. Eine unvergessliche Erfahrung.
Gibt es einen Scherenschnitt, der Ihnen besonders nahesteht? Das ist schwierig, es sind ungezählt viele. Aber die Tissot-Uhren trugen meine Handschrift in die Welt hinaus.
Wo kann man Ihre Arbeiten sehen? Regelmässig an der Ausstellung «Stille Zeit» der Kunstsammlung Unterseen zum Jahresende im Stadthaus. Zudem bin ich vom 29. November 2025 bis 31. März 2026 an der Ausstellung von Scherenschnitt Schweiz zum «Rubin-Jubiläum – 40 Jahre Begeisterung für den Scherenschnitt» in Château-d’Oex, wiederum mit einem Scherenschnitt-Motiv aus meinem Garten.
Wie haben Sie Ihren Stil entwickelt? Autodidaktisch. Man muss Schere und Papier gut kennen. Wer oft schneidet, weiss, wie das Material reagiert. Glücklicherweise verschneide ich mich kaum.
Sie leben in Bönigen. Was bedeutet Ihnen der Ort? Viel. Ich bin hier geboren und fühle mich zu Hause. Bönigen ist meine Heimat, mit See und Bergen. Ich bin gern im Garten oder auf dem Schiff auf Thuner- und Brienzersee.
Und wenn Sie nicht am Scherenschneiden sind? Dann gärtnere ich. Steinmannli, Holzschnitzereien oder Gemälde machte ich früher. Heute widme ich mich ganz dem Scherenschneiden. Auch nach der Pensionierung arbeite ich noch. Ich konnte nie eine Lehre machen, die Schule war für mich kein Ort der Freude. Aber ich besuchte die Frauenschule in Bern. Das Leben hat mich das meiste gelehrt. Ich bin jemand, der nie aufgibt, ausdauernd und zuweilen stur, vielleicht aus Selbstschutz.
Was treibt Sie nach all den Jahren immer noch an? Die Freude. Ich lasse mich nicht unter Druck setzen. Niemand kann mir sagen, er brauche in 14 Tagen einen Scherenschnitt. Ich habe mein Tempo. Jeder Künstler ist auch ein Lebenskünstler. Man muss sich selbst treu bleiben. Oft hilft es am meisten, einfach zuzuhören. Meine Gespräche mit der Natur führe ich fast immer im Stillen.
Zur Person: Barbara Seiler widmet sich leidenschaftlich dem Spiel mit dem schwarzen Papier und der Schere. Die heute 69-Jährige kam nach Lehr- und Wanderjahren an ihren Geburtsort Bönigen zurück, wo sie seit vielen Jahren lebt und arbeitet. Seit 1978 widmet sie sich dem Scherenschneiden, autodidaktisch, mit eigenem Stil: Jedes Motiv erzählt eine Episode, so lebendig, als ob die Künstlerin selbst im Bild versteckt das Treiben schmunzelnd beobachtete. Bekannt wurde sie u. a. mit den Zifferblättern für Tissot 1991/92 und durch Einzel- und Gruppenausstellungen. Sie engagiert sich im Verein Scherenschnitt Schweiz, im Verein Galerie Kunstsammlung Unterseen und im Dorfmuseum Bönigen. Barbara Seiler hat das Scherenschneiden zu ihrem Lebensweg gemacht – eigenwillig, poetisch und unverkennbar bodenständig.
09. Oktober 2025