Wo Nebelschwaden über stillen Seen hängen und verlassene Häuser ihre Geheimnisse flüstern, fühlt sich Mirko Beetschen zu Hause. Der Schriftsteller, aufgewachsen in Sundlauenen, versteht es wie kaum ein anderer, die feine Grenze zwischen Realität und Unheimlichem auszuloten. Mit seinem letzten Roman «Das Haus der Architektin» (2023) hat er erneut bewiesen, dass sich Grusel und feine psychologische Spannung perfekt ergänzen. Er spricht über Inspiration, neue Projekte und die Frage, wie ein einzelnes Buch in einer Welt voller Neuerscheinungen überhaupt noch bestehen kann.
Anzeiger Interlaken: Mirko Beetschen, wenn man Ihre Bücher liest, fühlt man sich oft wie auf dünnem Eis – es knistert zwischen Realität und etwas Unbestimmtem. Woher kommt diese Lust am Unheimlichen? Mirko Beetschen: Das lässt sich gar nicht so einfach sagen. Oft sind es Gebäude, die mich inspirieren, Architekturen, die im krassen Gegensatz zu der sie umgebenden Natur stehen: Das Haus am See, der Palast in den Bergen, die Geschichten, die in diesen Bauten stecken. Dann wiederum ist es ein Gefühl oder ein Bild aus einem Traum, das ich festhalten möchte. Und schliesslich liebe ich es, mir Szenen auszumalen, vor denen es mir selbst graut.
Ihr jüngster Roman «Das Haus der Architektin» ist 2023 erschienen. Woran arbeiten Sie zurzeit? Das nächste Manuskript ist beinahe fertig. Während ich Humor in meinen bisherigen Romanen nur als Aufheiterung für die ziemlich düstere Stimmung eingesetzt habe, wird er dieses Mal den Grundton für eine Coming-of-age-Geschichte setzen.
Sie haben eben von einem Gefühl aus einem Traum gesprochen – aber wie ist das mit Erinnerungen? Sie stammen aus dem Berner Oberland, leben heute in Bern. Wie sehr prägt Ihre Herkunft Ihr Schreiben? Je älter ich werde, desto deutlicher wird mir bewusst, wie die Topografie meiner Kindheit mich bis heute prägt. Es ist dabei weniger die Region, als vielmehr das unmittelbare Umfeld mit seinen Menschen und Räumen, Stimmungen, Farben und Formen, die mich begleiten und ganz sicher mein Schreiben beeinflussen.
In der Flut an Büchern: Wird es für einzelne Werke immer schwieriger, überhaupt gesehen zu werden? Ich denke, einfach war es noch nie. Heute muss sich ein Buch zudem gegenüber einem riesigen Medienangebot behaupten, doch als Antithese zum passiven Konsum und der anhaltenden Digitalisierung sehe ich viel Zukunftspotenzial darin. Ausserdem gibt es auf der Welt so viele potenzielle Lesende wie noch nie. Ich bleibe optimistisch!
Wie erleben Sie die heutige Literaturszene? Als das, was sie für mich immer schon war: ein Abbild ihrer Zeit. Gerade wird viel infrage gestellt, die Geschichtsschreibung wird neu beleuchtet, bisher Stummes bekommt eine Stimme, neue Perspektiven werden ausgelotet. Spannend wird es sein, zu sehen, wie die zeitgenössische Literatur mit den jüngsten politischen Entwicklungen umgeht.
Sie sind auch Mitinhaber der Agentur Bergdorf. Wie finden Sie da noch Raum zum Schreiben? Das ist nicht immer einfach. Im Moment sind wir dabei, unser bislang grösstes Projekt zu realisieren, die Transformation eines historischen Anwesens im Val-de-Travers in ein Guesthouse. Für das literarische Schreiben versuche ich mir jeweils morgens Zeit einzubauen, weil ich am Ende des Tages schlicht keine Energie mehr übrig habe.
Ein Ort, der Sie immer wieder neu inspiriert? Ganz klar London. Ich fühle mich in der Stadt zu Hause, seit ich sie mit 19 Jahren zum ersten Mal besucht habe. Ich liebe ihre Geschichte und den freien Geist, der hier herrscht. Ihre Architektur und Innovation, die unglaubliche Esskultur, die in den letzten Jahren entstanden ist, und natürlich all die tollen Buchläden.
Welche Geschichten haben Sie in letzter Zeit nicht mehr losgelassen? Zuletzt gelesen habe ich «Incidents around the House» von Josh Malerman. Die achtjährige Bela hat ein schönes Zuhause und liebevolle Eltern. Aber da ist auch die «andere Mami», die in der Nacht kommt und in ihr Herz möchte. Und während sich in der Beziehung ihrer Eltern Risse bilden, wird diese immer fordernder. Ein ziemlich fieses Stück Schauerliteratur, das zugleich eine Reflektion über das Leiden von Kindern bei familiären Problemen ist. Und jetzt gerade lese ich «Delicious Foods» des amerikanischen Autors James Hannaham, einen zeitgenössischen Südstaatenroman.
www.mirkobeetschen.com22. Mai 2025