Neben Trycheln und Naturmaterialien bei der Verkleidung prägen auch die Trommeln das Erscheinungsbild der Isenbolgner. (Bild: zvg)
Klangvoll – Der Trychelbrauch in Isenbolgen hat eine bewegte Geschichte. Mehrmals drohte er zu verschwinden – und wurde ebenso oft neu belebt.
Der Weiler Isenbolgen zwischen Hausen und Meiringen pflegte seinen eigenen Trychelzug, der jeweils im Quartier auszog und den Brauch mit viel Leidenschaft aufrechterhielt. Doch Anfang der 1970er-Jahre geriet die Tradition ins Wanken: Die Gruppe wurde immer kleiner, bis schliesslich eines Winters gar keine Trychel mehr ertönte. Für einen Bub aus dem Quartier – den späteren Vater des heutigen Trychelmajors Yves Müller – war dieser Zustand schwer zu ertragen. Als er seiner Mutter erzählte, wie sehr er den Klang vermisste, bastelte sie ihm kurzerhand eine Trommel aus einer leeren OMO-Waschmitteldose. Denn bei den Isenbolgnern gehört natürlich auch die Trommel dazu. Mit seiner neuen Trommel zog der Bub bereits am nächsten Tag los – und brachte damit das Trycheln zurück ins Quartier. Doch auch danach gab es Jahre, in denen die Tradition beinahe einschlief, bis sie durch engagierte Quartierbewohner erneut gestärkt wurde. Heute führt Yves Müller den Zug als Trychelmajor an. Die Geschichte seines Quartiers und seines Vaters prägt ihn spürbar: Der Trychelklang in Isenbolgen ist für ihn nicht nur ein Brauch, sondern ein Stück Familien- und Dorfidentität. In den 1990er-Jahren nahm der wiederbelebte Zug erneut am Meiringer Ubersitz teil und trug so den Klang aus Isenbolgen wieder hinaus.
Urtümlich statt poppig
Der Zeitpunkt war kein Zufall. In den späten 90er-Jahren wurden vielerorts Clowns, Micky-Maus-Masken oder blinkende Accessoires populär. Für die Traditionalisten im Haslital, darunter Müllers Vater, war dieser Trend ein Bruch. Markus Bauer, einer der Mitinitianten, schrieb 1997 in einem Brief an alle Eisenbolgen-Trychler und Freunde des schönen Trychelns: «Der Ubersitz soll keine Fasnacht werden, deshalb möchten wir keine Mickymaus- oder Clownmasken. Eine selbst gebastelte Verkleidung ist viel schöner als etwas Gekauftes.» Die Isenbolgner entschieden sich bewusst für Naturmaterialien. Gezeigt werden Waldungeheuer, Wiibli und Mandli, Figuren, die sich eng an alte Haslitaler Vorstellungen anlehnen. Ein weiteres Erkennungsmerkmal sind die Basler Trommeln und der langsame Gang. Und die Trommeln begleiten Yves Müller durchs ganze Jahr, er restauriert alte Hasler-Trommeln. Heute gehören 60 bis 70 Personen zur Gruppe. «Wir sind einer der kleineren Züge, aber nicht mehr der kleinste», sagt Müller. Der Nachwuchs spielt eine zentrale Rolle. Viele Kinder trycheln abends während der Altjahrswoche mit. «Man lernt es von klein auf, aber geübt wird unter dem Jahr nicht. Getrychelt wird nur in der Altjahrswoche.» Jeden Abend ziehen die Trychler von etwa 19.30 Uhr bis vier Uhr morgens durch die Gassen, eine jahrzehntelang gelebte Routine. Für Müller ist es ein persönlicher Kreis, der sich jedes Jahr wieder schliesst: «An meinem ersten Ubersitz musste ich als kleiner Junge schon nach dem ersten Durchgang heim. Ich war sehr traurig.» Während andere Züge bereits am 25. Dezember um Mitternacht starten, beginnen die Isenbolgner wie traditionell üblich am 26. Dezember.
Marathon durch die Nacht
Der Ubersitz selbst ist für die Trychler ein körperliches Grenzerlebnis. «Wir fangen um 20.00 Uhr an, und es geht bis in den Nachmittag des nächsten Tages, bis etwa 14.30 Uhr», sagt Müller. Die Kombination aus Gleichschritt, Takt und Glockenschlag fordert viel Ausdauer. Zuschauer gehören zum Ubersitz, doch für Müller ist deren Anwesenheit kein Antrieb. Während der Coronajahre musste die Altjahrswoche in enger Absprache mit den Behörden stattfinden, ohne Publikum. «Gefehlt hat mir das nicht. Wir verbiegen uns nicht, dass es besser gefällt. Wir sind keine Showtrychler. Wir trycheln für uns und für unsere Tradition.»
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Niemals an einem Sonntag
Brauchtum – Der Ubersitz folgt einer klaren Regel: Er darf weder an einem Sonntag enden noch an einem Sonntag starten. Er findet deshalb immer in der Nacht vom zweitletzten auf den letzten Arbeitstag des Jahres statt. Fällt der 31. auf einen Sonntag, rutscht der Ubersitz entsprechend nach vorn, etwa auf den 29. Dezember. Dieses Jahr findet er von Dienstag auf Mittwoch, 30. auf 31. Dezember statt. Der Ubersitz ist gemäss Haslital Tourismus ein uralter Brauch keltischen Ursprungs aus der vorchristlichen Zeit, als die Bewohner der Bergtäler in den längsten Nächten des Jahres mit Trycheln die bösen Geister von ihren Dörfern fernhielten. Täglich werden die Trychelzüge mächtiger, der Lärm lauter bis zum Höhepunkt in der Nacht zum «Ubersitz». An diesem Abend ziehen alle Trychler der umliegenden Ortschaften Willigen, Hausen, Eisenbolgen, Unterbach, Hasliberg und Meiringen ins Dorfzentrum von Meiringen zu einem gemeinsamen Trychelumzug.
18. Dezember 2025